Der Ukraine-Krieg ist tatsächlich in vielfacher Hinsicht eine Zeitenwende. Kaum jemand hätte gedacht, dass wir in Europa erneut ein solch brutales Vorgehen erleben müssten. Tausende Menschen sterben, Kriegsverbrechen werden begangen und Millionen sind auf der Flucht. Wenn wir im Folgenden über die dramatischen wirtschaftlichen Folgen auch für die Gießerei-Industrie berichten, sollten wir uns immer vor Augen halten, dass das durch den Krieg ausgelöste Leid das eigentliche Thema ist.
Der Krieg hat in vielerlei Hinsicht zu einem radikalen Umdenken in der Bundesregierung geführt. Die nunmehr beschlossene Lieferung schwerer Waffen ist der letzte Ausdruck hierfür. Wenn wir aber den Fokus auf die Gießerei-Industrie und den Verband richten, so hat dieses Umdenken auch für uns unmittelbare Folgen. Nach der Bundestagswahl haben wir uns als Interessenvertreter sehr intensive Gedanken darüber gemacht, wie die Bundesregierung anzusprechen ist und wie wir die Sichtweise und Notwendigkeiten der Gießerei-Industrie in das Regierungshandeln transportieren können. Insbesondere die Grünen, aber auch die junge Generation der SPD- und FDP-Abgeordneten waren klassischen Mechanismen der Interessenvertretung nicht zugetan. Neue Wege müssen beschritten werden.
Dann aber kam alles anders. Die Bundesregierung hat angesichts der großen Verantwortung, die sie für unser Land trägt, eine ausgesprochen pragmatische Herangehensweise gewählt. Sie basiert auf Zuhören, Fragen stellen und lösungsorientiertem Handeln. Wir haben in vielen Gesprächen den Eindruck gewinnen können, dass mit großer Ernsthaftigkeit und Realitätsbezug Wirtschaftspolitik betrieben wird. Dabei haben die Ministerien sehr schnell erfasst, dass Verbände zuverlässige Gesprächspartner sind, um sich einen Überblick über die tatsächliche Situation in der Wirtschaft zu verschaffen. Diese Tatsache beinhaltet eine Chance, aber auch eine Verantwortung, die wir und die unsere Mitglieder sehr ernst nehmen.
Wir haben den Eindruck, dass die wechselseitige Zusammenarbeit zwischen Verband und Mitgliedern sich noch einmal intensiviert hat. Das versetzt uns auch in die Lage, die Interessen der Branche wirksam zu vertreten. Verbandsarbeit ist so wichtig wie selten zuvor, sie wird auf Seiten der Behörden und der Politik auch wertgeschätzt. Der interne Aufwand ist allerdings außergewöhnlich hoch, denn Gespräche brauchen einfach viel Vorbereitung und Zeit. Wir haben eindeutige Prioritäten gesetzt. Es geht um die Daseinsberechtigung der Branche, die durch klimapolitische Irrwege in der Umsetzung der Dekarbonisierung infrage gestellt wird und es geht um die Existenz unserer Branche, die durch abrupt gestoppte Gaslieferungen ebenso gefährdet wird wie durch die explodierenden Energiepreise. Der Verband leistet dies alles mit begrenzten Ressourcen. Das gelingt nur durch konsequente Fokussierung und erlaubt keine personellen Einschränkungen.
Der Verband braucht die Unterstützung der Mitglieder, um die Herkulesaufgabe der Interessenvertretung auch weiterhin effektiv angehen zu können. Der BDG hat unzählige Briefe geschrieben und Gespräche geführt. Präsident Küpper und Hauptgeschäftsführer Schumacher hatten schon am 9.3.2022 die Möglichkeit, Staatssekretär Udo Philipp (BMWK) unsere Position vorzutragen. Wir konnten ausführlich darlegen, welche katastrophalen Folgen für die Gießerei-Industrie und für die Volkswirtschaft entstehen würden, wenn wir kein Gas mehr zur Verfügung hätten. Wir waren erfreut zu sehen, dass es offensichtlich der gesamten Leitungsebene des Wirtschaftsministeriums ebenso wie dem Bundeskanzleramt sehr deutlich ist, dass eine Gasmangellage soweit irgend möglich vermieden werden muss. Der BDG hat sich allerdings bewusst dafür entschieden, das Primat der Politik zu akzeptieren und fordern daher nicht, unter allen Umständen von einem Gasembargo abzusehen, sondern weist – allerdings mit hoher Intensität – auf die katastrophalen Folgen einer solchen Handlung hin.
Entsprechende Gespräche führten wir – teilweise gemeinsam mit oder über das Bündnis Faire Energiewende mit allen Fraktionen des Bundestages und dem Bundeskanzleramt. Weitere Gespräche mit der Leitungseben des Wirtschaftsministeriums stehen bevor. Natürlich sind wir über den BDI eng in dessen Aktivitäten eingebunden und auch die Abstimmung mit WVMetalle funktioniert sehr gut. Ergänzend haben wir mit einigen Bundesländern (Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen) bereits intensive Branchendialoge aufgenommen. Weitere werden folgen.
Auch konnten wir nie zuvor so viel über die Bedeutung der Gießerei-Industrie und deren Schwierigkeiten insbesondere im Bereich der Energiepreise und ‑verfügbarkeit in den Medien vernehmen. Viele regionale Zeitungen, aber auch bundesweite Fernsehsendungen haben über Gießereien und insbesondere die Energiepreis-Misere unserer Branche berichtet.
Wir fliegen nicht mehr unter dem Radar, die Branche ist sichtbar geworden in der Öffentlichkeit und in der Politik. Und auch wenn es angenehmer gewesen wäre, wenn weniger dramatische Ereignisse zu dieser Wahrnehmbarkeit geführt hätten, wird dieses Momentum verstetigt werden.