Wenn man sich die Geschichte der Gießereiverbände vergegenwärtigt, dann mutet ein Kapitel des Tätigkeitsberichts, der sich mit dem abstrakten Begriff des Lobbyismus beschäftigt, schon seltsam an. Unsere Kernkompetenz liegt doch gerade in der technischen und wirtschaftlichen Expertise, in Branchennähe und in Beratung. Das ist aber nur scheinbar ein Widerspruch. Denn die Beratung erstreckt sich auch auf die Politik, die mit fachlichem Wissen im Sinne der Branche versorgt wird. Womit wir dann bei dem Synonym für Lobbyismus, der Interessenvertretung, wären. Lobbyarbeit zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie die Politik mit dem notwendigen Fachwissen ausstattet, damit sie dann richtig – und unabhängig – entscheiden kann. Das scheint in Politikkreisen nicht mehr präsent zu sein. Und das ist in dieser Form neu. Denn gerade industrielle Interessensvertretung wird oft mit einer potenziellen (eigenen) Bestechlichkeit verbunden. Dahinter scheint ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der produzierenden Industrie zu stehen
Das ist kein Argument gegen Lobbyarbeit, im Gegenteil. Denn dem gilt es entgegenzuwirken. Aber es ist ein Grund neue Wege zu suchen. Das Selbstverständnis des BDG hat sich in den letzten Jahren schon deutlich an die Notwendigkeiten des politischen und gesellschaftlichen Wandels angepasst. Insbesondere die große Herausforderung des Klimawandels und die aktuelle Energiepreiskrise verdeutlichen, dass die Branche und jede einzelne Gießerei gerade jetzt sichtbarer werden müssen, um ihre Interessen vertreten zu können. Das tun wir verstärkt durch verschiedene Projekte unseres Zukunftsprogramms seit einigen Jahren erfolgreich.
Um der Chronistenpflicht Genüge zu tun, verweise ich auf einige Leuchtturmveranstaltungen im Berichtszeitraum seit Sommer letzten Jahres. Hier ist zunächst der 2. Zukunftstag der deutschen Gießerei-Industrie im September 2022 zu nennen. Noch mit der Furcht, womöglich coronabedingt doch nur eine Online-Veranstaltung wird, war der Zukunftstag ein voller Erfolg. Themen, die wir in die Öffentlichkeit getragen haben, waren neben der Energiepolitik insbesondere die Frage des Fachkräftemangels. Auch in diesem Bereich ist es von herausragender Bedeutung, die Interessen der Branche zu vertreten. Um dies noch besser tun zu können als bisher, hat sich der BDG entscheiden, eine neue Referentenstelle zu schaffen, die sich mit dem Themenbereich Nachwuchs- und Berufsentwicklung auseinandersetzt. Wir freuen uns, dass wir mit Laura eine bewährte Verbandsmitarbeiterin haben gewinnen können, die sich dieser Herausforderung stellen wird.
Ganz sicher ein Leuchtturm in der Interessenvertretung war der Bielefelder Appell, zu dem IG Metall und BDG gemeinsam aufgerufen hatten. Fast tausend Menschen aus über 30 Gießereien sind diesem Ruf gefolgt und haben in Bielefeld ein starkes Zeichen abgegeben. Ein Zeichen, das nachwirken wird.
Trotzdem müssen wir selbstkritisch feststellen, dass der Appell trotz guter Resonanz bei regionalen Medien und dem WDR nicht ganz die Aufmerksamkeit bekommen hat, die er verdient gehabt hätte. Warum ist das so? Und warum drängeln sich mehrere Fernsehteams um drei Klimakleber? Weil wir trotz der – sehr sinnvollen und schon außergewöhnlichen – Zusammenarbeit von BDG und IG Metall offensichtlich noch immer nicht sexy genug für die 20:00 Uhr-Nachrichten sind.
Wenn wir mit dem Bielefelder Appell also schon ungewöhnliche Wege beschritten haben, sollen wir jetzt fatalistisch die Flinte ins Korn werfen? Sicher nicht, wir müssen aber die Lehren ziehen für unsere Kommunikation und Interessenvertretung als kleiner Verband einer kleinen, aber wichtigen Branche. Wenn es mit Wucht allein nicht reicht, dann setzen wir eben mit einer Vielzahl kleiner Impulse noch einen drauf und bauen auf die wuchtige Aktion auf.
In Berlin demonstrieren? Oder doch flüssiges Aluminium vor den Reichstag kippen? Ersteres ginge im Berliner Gewusel unter. Letzteres schafft zweifelhafte Berühmtheit, für einen Moment. Doch beeindruckt es auch die Entscheidungsträger? Eher nicht, denn wo die Prioritäten der Bundestagsabgeordneten haben, wurde beim Streit um das Gasheizungsverbot deutlich. Beide Themen sind vergleichbar intensiv auf den Titelseiten inhaltlich diskutiert worden, das GEG hatte aber eine deutlich höhere sonstige Medienpräsenz. Weil es am Ende doch nicht so komplex ist wie der Energiepreis für DIE Industrie. DIE Industrie, das ist ja die andere Seite, der mit Misstrauen begegnet wird (siehe oben), während die Gasheizungsfrage sofort, unmittelbar eine Vielzahl von Wählern betrifft. Und die sind es, die Abgeordnete natürlich in erster Linie interessieren.
Wir haben mit unserer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Berichtszeitraum schon ein Hintergrundrauschen in der Öffentlichkeit erzeugt. Vielfach sind wir in den verschiedensten Medien präsent gewesen, um der Branche in Sachen Energiepreise Gehör zu verschaffen. Süddeutsche, FAZ, FAS und Handelsblatt, aber auch die BILD haben unsere Zitate abgedruckt und so für mediale Wahrnehmung gesorgt. Wir konnten auch verschiedene Kontakte vermitteln, durch die einzelne Gießereien zu herausragenden Medienauftritten und –publikationen gekommen sind. Beispiele sind die Washington Post, ein dänischer und ein japanischer Fernsehkanal. Natürlich kamen wir auch im deutschen Fernsehen vor, etwa bei PlusMinus.
Es ist daher ein weiteres Mal die Erkenntnis, dass vor diesem Hintergrundrauschen jede einzelne Gießerei aufgerufen ist, ihre eigene authentische Geschichte mit den lokalen Mandatsträgern aus Bundes- und Landesparlament zu besprechen. Intensiv, mit hoher Frustrationstoleranz wieder und wieder dieselben Sachverhalte erläuternd, müssen wir die wirtschaftlich zwingenden Zusammenhänge verdeutlichen – ganz im Sinne des vielfach beschworenen Mitmachverbands, als der wir uns auch verstehen. Wir helfen Ihnen gerne dabei. Zur grundsätzlichen Unterstützung bei Medienarbeit hat der Verband sogar einen Kommunikationsleitfaden geschaffen.
Eine immer wichtigere Rolle in der Interessenvertretung spielen die Social Media. Wir müssen hier als „Influencer“ im besten Sinne verstanden werden, indem wir alle in diesen Kanälen stark präsent sind. Das ist leider nicht der Fall. Auch hier tun wir als Verband unser Bestes, unsere Posts haben eine große Reichweite und mit über 4000 Followern ist das Haus der Gießerei-Industrie mit seinem Account deutlich erfolgreicher als so mancher deutlich größere Verband.
Allerdings ist die Branche zum Beispiel auf LinkedIn alles andere als gut aufgestellt. Im Vorstand des BDG sind nur etwa 10 Prozent der Mitglieder auf LinkedIn aktiv. Das ist deutlich zu wenig. Wir müssen die Chancen dieses Mediums nutzen, um immer wieder und nochmals auf den Beitrag hinzuweisen, den die Gießerei-Industrie für den Wohlstand unserer Gesellschaft und für den Klimaschutz leistet. Auch und gerade auf LinkedIn. Der Verband unterstützt Sie auch hierbei gerne.
Abschließend noch der Hinweis auf die Online-Petition, die wir gestartet haben. Hier können Sie sich mit Ihrer Unterschrift für die Einführung eines Industriestrompreises stark machen. Ein weiterer Impuls, für sich vielleicht nicht entscheidend, aber hoffentlich zum Gesamterfolg beitragend.
Wir müssen intensiver kommunizieren als andere, wenn wir gehört werden wollen.